UN: Warum António Guterres Israel so wütend macht (2024)

Der UN-Generalsekretär will eine humanitäre Katastrophe in Gaza verhindern, Israel nennt ihn nun einen Terrorunterstützer. Das Land traut den UN schon lange nicht mehr.

Eine Analyse von Carsten Luther

223 Kommentare
UN: Warum António Guterres Israel so wütend macht (1)

Erschüttert über das Vorgehen der israelischen Armee ist António Guterres schon lange. Seit Wochen beklagt der UN-Generalsekretär die "niederschmetternde und inakzeptable Zahl an zivilen Opfern, darunter Frauen und Kinder", die Luftangriffe und Bodenoffensive gegen die Hamas forderten. Die Lage im Gazastreifen nannte er zuletzt bereits eine "humanitäre Katastrophe epischen Ausmaßes". Ganz abgesehen von der zwischenzeitlichen Behauptung, man werde Zeuge einer "Tötung von Zivilisten, die beispiellos ist" und die es in keinem anderen Konflikt seit seinem Amtsantritt 2017 gegeben habe – obwohl in Syrien, Jemen, Afghanistan, ja in der Ukraine neben weiteren Konflikten ein Vielfaches an Toten bei der UN registriert wurde. Solches Aufrechnen mag schäbig wirken; es belegt zunächst auch lediglich, dass Guterres in seiner offensichtlichen Empathie rhetorisch gelegentlich etwas weit geht.

Jetzt redet er nicht mehr nur, sondern zwingt mit der äußerst seltenen Berufung auf Artikel 99 der UN-Charta das Thema auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats. Verbunden mit der erneuten Forderung nach einem humanitären Waffenstillstand und der Warnung, die israelische Offensive könne sonst bald zu einem endgültigen Kollaps der öffentlichen Ordnung im Gazastreifen führen. Aus Sicht des Generalsekretärs ist das laut einem Sprecher "ein sehr dramatischer, ein sehr starker Akt".

An dieser Stelle ist ein externer Inhalt eingebunden

Zum Anschauen benötigen wir Ihre Zustimmung

Symbolisch vielleicht, inhaltlich muss daraus nichts folgen, der Sicherheitsrat wird nicht plötzlich seine Zerstrittenheit in diesem Konflikt überwinden. Aber es dürfte auch vor allem die Symbolik dieses Schritts sein, die beispielsweise Israels Außenminister Eli Cohen so sehr in Rage bringt, dass er Guterres' Amtszeit "eine Gefahr für den Weltfrieden" nannte und dem Generalsekretär die "Unterstützung der Terrororganisation Hamas und eine Billigung der Ermordung alter Menschen, der Entführung von Babys und der Vergewaltigung von Frauen" vorwarf.

"Einer erdrückenden Besatzung ausgesetzt"

Dass Israel keine Alternative zu seinem Krieg gegen die Hamas sieht, ist so bekannt wie nachvollziehbar. Zwar mehren sich auch unter seinen engen Freunden die Forderungen, dabei nicht die Verhältnismäßigkeit aus den Augen zu lassen, mehr Anstrengungen zum Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten zu unternehmen und deren Versorgung zu gewährleisten – und die Fragen, wie lange und zu welchem Ende die Angriffe noch weitergehen sollen.

Doch die Regierung von Benjamin Netanjahu lässt sich davon nur bedingt beeinflussen – eine erneute Waffenruhe scheint derzeit ausgeschlossen. Bislang jedenfalls bleibt es dabei: Israel nimmt für sein erklärtes Ziel, die Hamas zu zerstören, eine große Zahl von Toten in der palästinensischen Bevölkerung in Kauf und auch das Leid der Überlebenden, der Flüchtenden.

Vor diesem Hintergrund ist Guterres' Aufruf an den Sicherheitsrat, "eine humanitäre Katastrophe zu verhindern", nicht sonderlich exotisch. Aber er ist auch "nicht in einem Vakuum" entstanden, wie der Generalsekretär es im Oktober über die Massaker der Hamas formuliert und damit die israelische Regierung endgültig gegen sich aufgebracht hatte. Zwar verurteilte Guterres auch die Taten der Terroristen, die nicht zu rechtfertigen seien, setzte sich aber dennoch dem Vorwurf der Relativierung aus. Das palästinensische Volk sei "seit 56 Jahren einer erdrückenden Besatzung ausgesetzt", und die schrecklichen Angriffe der Hamas berechtigten nicht zu dessen "kollektiver Bestrafung", sagte er damals. Es war der vorläufige Höhepunkt eines Streits, der zwischen Israel und den UN seit Langem gärt und der längst zur israelischen Forderung nach Guterres' Rücktritt geführt hat.

Dessen womöglich missverstandene Versuche einer historischen Kontextualisierung hätten klarer und diplomatischer formuliert sein können. Die aktuelle Lage lässt sich ja durchaus mit Blick auf die Vorgeschichte analysieren, ohne damit zugleich den Hamas-Terror zu verharmlosen oder gar zu rechtfertigen. Ihn zu verurteilen, Israels Selbstverteidigungsrecht anzuerkennen und gegen das Leid anzugehen, das der Krieg für Unschuldige bedeutet – das schließt sich alles nicht gegenseitig aus. So könnte man die bisherigen Einlassungen des Generalsekretärs deuten, wenn man wohlwollend wäre: sachlich, aber immer auf der Seite der Schwächsten.

Die "Stimme der Fairness und Gerechtigkeit"?

Doch für Israel sind die Vereinten Nationen eben alles andere als eine neutrale Institution. Das beginnt mit der Generalversammlung, in der sich spiegelt, wie wenige echte Freunde das Land in der Welt hat, und setzt sich in anderen Gremien fort. Schon Guterres' Vorgänger Ban Ki-moon hatte 2016 den übertriebenen Fokus der UN auf Israel eingeräumt: "Jahrzehnte politischer Manöver haben zu einem unverhältnismäßigen Volumen gegen Israel gerichteter Resolutionen, Berichte und Komitees geführt." Hinzu kommt unter anderem die Rolle des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge UNRWA, das von der Hamas unterwandert wurde, dessen Schulen den Terroristen als Stützpunkte dienten.

Das alles erklärt, warum die israelische Regierung sich von Guterres' Worten und seinem jüngsten Schritt so schnell reizen lässt. Dabei stand der Generalsekretär selbst eigentlich zuvor nicht im Verdacht, sich zu einseitig zu positionieren. Der Jüdische Weltkongress verlieh ihm 2020 den Theodor-Herzl-Preis. Dessen Präsident Ronald Lauder nannte Guterres in der Laudatio einen "wahren und hingebungsvollen Freund des jüdischen Volkes und des Staates Israel". Mehr noch: "die Stimme der Fairness und Gerechtigkeit, auf die der Staat Israel und das jüdische Volk bei den Vereinten Nationen sehr, sehr lange Zeit gehofft hatten". Vermutlich könnte er das heute nicht mehr so überzeugend sagen.

UN: Warum António Guterres Israel so wütend macht (2024)
Top Articles
Modular Homes in Reeves, Louisiana - ModularHomes.com
Grayson, LA Mobile & Manufactured Homes for Sale | realtor.com®
NOAA: National Oceanic & Atmospheric Administration hiring NOAA Commissioned Officer: Inter-Service Transfer in Spokane Valley, WA | LinkedIn
Windcrest Little League Baseball
Ixl Elmoreco.com
How to change your Android phone's default Google account
RuneScape guide: Capsarius soul farming made easy
Aces Fmc Charting
Select The Best Reagents For The Reaction Below.
Doby's Funeral Home Obituaries
Over70Dating Login
Blue Ridge Now Mugshots Hendersonville Nc
Miss America Voy Forum
4156303136
Nj State Police Private Detective Unit
Truck Trader Pennsylvania
Haunted Mansion Showtimes Near Millstone 14
Straight Talk Phones With 7 Inch Screen
Msu 247 Football
Gopher Hockey Forum
Hyvee Workday
Invitation Homes plans to spend $1 billion buying houses in an already overheated market. Here's its presentation to investors setting out its playbook.
Puretalkusa.com/Amac
Winco Employee Handbook 2022
South Bend Weather Underground
Sienna
Labcorp.leavepro.com
Dal Tadka Recipe - Punjabi Dhaba Style
By.association.only - Watsonville - Book Online - Prices, Reviews, Photos
Prévisions météo Paris à 15 jours - 1er site météo pour l'île-de-France
Nacogdoches, Texas: Step Back in Time in Texas' Oldest Town
Solarmovie Ma
Craigslist Org Sf
Lake Dunson Robertson Funeral Home Lagrange Georgia Obituary
Domino's Delivery Pizza
Grapes And Hops Festival Jamestown Ny
Caderno 2 Aulas Medicina - Matemática
Hingham Police Scanner Wicked Local
Elizaveta Viktorovna Bout
Bernie Platt, former Cherry Hill mayor and funeral home magnate, has died at 90
F9 2385
Oppenheimer Showtimes Near B&B Theatres Liberty Cinema 12
Arigreyfr
Santa Clara County prepares for possible ‘tripledemic,’ with mask mandates for health care settings next month
Login
My Eschedule Greatpeople Me
What is a lifetime maximum benefit? | healthinsurance.org
What Does the Death Card Mean in Tarot?
Sam's Club Fountain Valley Gas Prices
Marion City Wide Garage Sale 2023
Basic requirements | UC Admissions
Latest Posts
Article information

Author: Manual Maggio

Last Updated:

Views: 5668

Rating: 4.9 / 5 (69 voted)

Reviews: 84% of readers found this page helpful

Author information

Name: Manual Maggio

Birthday: 1998-01-20

Address: 359 Kelvin Stream, Lake Eldonview, MT 33517-1242

Phone: +577037762465

Job: Product Hospitality Supervisor

Hobby: Gardening, Web surfing, Video gaming, Amateur radio, Flag Football, Reading, Table tennis

Introduction: My name is Manual Maggio, I am a thankful, tender, adventurous, delightful, fantastic, proud, graceful person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.